Wie sich das Leben ändern kann

Als ich zuletzt in diesem Blog aktiv war, hatte ich eine akute Manie.

Der nachfolgende ewig lange Absturz inklusive zweier Klinikaufenthalte hinterließ gewaltige Spuren. Mein Selbstbild, meine Identität haben sich verändert. Kein Selbstvertrauen mehr, dafür Scham über all’ die verrückten Dinge, die ich geredet und angestellt hatte.

Es war eine Illusion, die Manie beherrschen zu können. Ich war definitiv außer Kontrolle und habe Menschen um mich herum grausam und bar jeder Realität behandelt, bedrängt und verurteilt. Nichts von dem,was ich wollte und was ich mir einbildete, war sinnvoll und real…eben typisch Manie.

Nachdem ich die schlimmsten Depressionen hinter mir hatte, hoffte ich, mir eine Rückkehr ins Leben erkämpfen zu können. Aber es lief nicht so wie ich es mir wünschte. Tiefe Ängste entwickelten sich, körperliche Symptome wie Verkrampfung und Schwindel wurden zur Regel. Mich zu irgendetwas zu motivieren war unglaublich schwer. Zudem fand ich noch nicht einmal Dinge, die ich tun könnte, ich traute mir ja überhaupt nichts mehr zu, konnte tatsächlich nicht mehr denken, nicht mehr lernen, mir auch nichts merken.

Auch war ich nicht mehr belastbar.

Von Berufstätigkeit konnte keine Rede sein. Erst einmal mußte ich mich wieder aufbauen. Gartenarbeit, Holz sägen, anderen bei ihren Projekten helfen, radfahren. Vielleicht würde ich wieder lernen zu leben…

Als es wieder ein wenig aufwärts ging, war allerdings schon der nächste heftige Schlag unterwegs. Ich hätte mir nicht träumen lassen, was da kommen würde…zuerst gab es aber nur unangenehme Schmerzen bei bestimmten Bewegungen in beiden Schultern.

Ich hatte viel Muskeln abgebaut durch Krankenhaus & Depression. Und ich hatte jeden Tag heftige Ängste auszuhalten, das bedeutet, massiv Cortisol im Körper. Dies ist nicht gut für Gelenke!

Als ich erstmalig wieder Beugestütze probierte, verkraftete das meine linke Schulter nicht und reagierte mit krassen Schmerzen, wenn ich bestimmte Bewegungswinkel überschritt. Ich dachte an so etwas wie eine Zerrung und hoffte, es würde mit der Zeit wieder verschwinden. Ich mutete dem Arm auch weiter recht harte Belastungen zu, aber es wurde nicht besser, sondern schlimmer. Irgendwann entstand ein Dauerschmerz, und die Beweglichkeit des Schultergelenks schränkte sich stark ein.

Der Orthopäde wußte fast sofort die richtige Diagnose:

Frozen shoulder, zu deutsch “Schmerzschulter”.

Seine Prognose: “Das wird wieder, aber es dauert ein Jahr. Und man kann nicht viel machen.”

Dazu holte ich mir die Meinung eines Physiotherapeuten ein, der allerdings ungefähr dasselbe sagte. Ich konnte das kaum fassen – denn mein Körper war bisher das, worauf ich mich noch immer verlassen, womit ich einiges anfangen konnte.

Nun nicht mehr.

Die Effekte von “frozen shoulder” sind vielfältig. Ein intensiver Dauerschmerz befällt den gesamten Arm, unabhängig davon, was man tut. Dieser Schmerz hört nie auf und breitet sich meist auf den Schultergürtel und den Kopf aus. Am stärksten spürbar wird er gerade in Ruhezeiten (“Ruheschmerz”).

Deshalb kann man nicht mehr gut schlafen. Egal, wo und wie der Arm liegt, er tut bohrend weh! Bewegungen im Schlaf reizen das entzündete Gelenk, und zur Zeit des Erwachens un Aufstehens ist der Schmerz am größten. Man braucht stundenlang, um sich vom Schlaf zu erholen…

Sollte es passieren, daß man mit dem Arm eine unwillkürliche Bewegung über die Grenzen der Beweglichkeit des Gelenks hinaus macht (etwa beim Duschen), dann wird ein perverser Schmerzblitz ausgelöst, der einen schreien läßt! Am Allerschlimmsten ist ruckartiges Bewegen: ich zuckte einmal mit dem Arm von der Autotür weg aufgrund elektrostatischer Entladung – sofort brach ich schreiend auf dem Bürgersteig zusammen…

Man ist permanent müde. Man kann sich kaum eine Jacke anziehen, sich die Hosen nicht hochziehen, nichts fangen, sich nicht abstützen. Ein permanentes Krankheitsgefühl durchzieht den Körper. Der Schmerz drückt einen regelrecht “nieder”, man will nicht mehr.

In einem bereits halb depressiven, halb gelähmten und antriebsschwachen Leben ist das der SuperGAU, zumal für lange Zeit keine Aussicht besteht, daß sich etwas bessert. Ich habe einige Zeit gebraucht, um diesen hilflosen Zustand irgendwie akzeptieren zu können. Wie soll das Leben aussehen ohne körperliche Arbeit, ohne Sport, gequält von Schmerz, dauermüde?

Geht das überhaupt?

Nun, Freude im bisher üblichen Sinne zu erleben ist vorerst NICHT mehr möglich. Selbst die Wahrnehmung der Natur wird unter einem Schmerznebel begraben. Positive Gefühle sind generell weg. Schmerzverarbeitung verbraucht regelrecht Serotonin, die Hälfte oder zwei Drittel der Lebensenergie eines Tages wird für das Ertragen des Schmerzes verbraucht. Ablenkung is king.

Mittlerweile habe ich den Willen, die Herausforderung zu bestehen und irgendwie sinnvoll durch die Zeit zu kommen – ein ganz anderes Leben als ich es für “normal” hielt, vor allem stark verlangsamt, ein Leben wie ein sehr alter Mensch wird es sein.

Ja: ich weiß nun, wie es alten Menschen geht – ich komme kaum aus der Badewanne raus. Haha. Nur Galgenhumor hilft da.

Vielleicht aber auch Bloggen.